der tod hat geduld |
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August 22, 2006 at 12:25
(kontexte) |
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https://diewege.wordpress.com/2006/08/22/zurueck-in-die-zukunft/ in P8a gibt es zum einen die stark pflegebedürftigen, zum anderen solche, die meist im gemeinschaftsraum sitzen und dort auch verpflegt werden. alle sind vor und nach dem essen sich selbst überlassen, wenn überhaupt mal ein wort von einer der pflegerinnen, dann im stil eines kindergartens. einige kommen und gehen nur zu mahlzeiten, manche werden geholt und nach dem essen wieder ins bett gebracht. dann gibt es diejenigen, die trotz hohem alter geistig und emotional noch wach sind – bewusst wahrnehmen. etwa das 90-jährige ehepaar. oder ein fast 90-jähriger, der zwischen erinnerungen, einst ein sehr wichtiger mann gewesen zu sein, und der unfreiheit im SBK, körperlich und psychisch immer rapider abbaut. oder eine fast 90-jährige, welche noch das privileg des einzelzimmers hat, dies trotz kontaktbedürfnis einer zweibettzimmerlösung vorzieht. diese alten essen ausschliesslich in ihrem zimmer, suchen zwischen den verpflegungstakten nur den kontakt zu unmittelbaren zimmernachbarn, in einer ecke am ende des abteilungsganges – wo geraucht werden darf ( ein kleiner letzter luxus ). der grosse elektrische vollverpflegungswagen ( nirosta ) bildete buchstäblich das zentrum der verpflegungshauptverkehrszeit. ich erwähne es, weil daran anknüpfend tatsächlich der schwerpunkt meiner helfer-tätigkeit im argen lag. d.h. wieviel eigeninitiative mir selbst noch möglich war, wieviel zeit mir blieb, wenn ich die senioren in ihren zimmern mit essen zu versorgen hatte. oft kaum mehr als nur “guten appetit” wünschen konnte. ich arbeitete meist in der küche, davon ausgehend im unmittelbaren kontakt mit den ( noch nicht extrem pflegebedürftigen ) senioren. von anfang an bis zum ende wurde mir nicht die geringste orientierungshilfe gegeben; nicht mal das ordnungsprinzip betreffend, so die hygienevorschriften – da ich neben küchenarbeit ja stets direkten kontakt zu den senioren hatte, wären hygienevorschriften mit der vorlage des gesundheitszeugnisses abzusichern; doch danach hat mich niemand gefragt. als ich eine seniorin zur arztstation brachte, wurde ich aufgefordert, ihr die verbände abzunehmen. mein hinweis, dass ich nur ein helfer sei, wurde ignoriert – die arzthelferin liess uns im behandlungsraum lange allein. persönlich war es für mich eher ein hilfe-highlight, als ich die verbände abnahm. es gab ein trockenes exem, teilweise blutend, sah anfangs noch schlimmer aus, als im späteren verlauf. ich massierte ihr leicht die beine und füsse, ihre gummizüge der strümpfe waren viel zu stramm; darum habe ich mich später gekümmert. wir warteten also gemeinsam dort mindestens eine stunde allein im behandlungsraum, wo die medikamentenschränke offen und unbeaufsichtigt standen; ein großer widerspruch zum sonstigen ordnungsprinzip. am nächsten tag wiederholte sich diese prozedur, diesmal ging es immerhin wesentlich schneller, vielleicht, weil ich das lange warten erwähnt hatte. ein gesundheitszeugnis wird vom gesundheitsamt nicht mehr nach einer untersuchung ausgestellt, sondern es müssen vorher 25 € einbezahlt sein ( soll später auf dem üblichen amtsweg zurückerstattet werden ), dann findet nur ein automatisierter lichtbildvortrag statt. ich habe es von den anderen erfahren, die kein problem damit hatten, diesen amtlich beglaubigten schildbürgerstreich phlegmatisch oder lapidar abzuhaken. ich ging nicht hin! nahm ich zuviel rücksicht auf die langsamkeit einzelner, beim füttern, wurde ich auch schon mal gedrängt. vielleicht ein grund, mich das später kaum noch machen zu lassen. denn es störte wohl den reibungslosen ablauf. werde vielleicht mal nachfragen, wie denn meine beurteilung forumliert worden sei, die es ja angeblich geben sollte. wer bis dato noch alle sinne beisammen hatte, wird entweder sehr still, stumm resignieren, depressiv ( seltener agressiv ) und immer apathischer. wer physisch/psychisch widerstand zu leisten versucht, wird zum störfaktor. leider geben sich auch die alten untereinander kaum eine chance. wenn neue anfangs noch rege sind und kontakte suchen, werden sie bald in ihre grenzen verwiesen – es genügen ein paar falsche worte ( und das sind nahezu alle, die zu einem dialog führen könnten ). alle haben eine lange lebensgeschichte, hier sind alle mehr oder weniger gleich arm dran ( bis auf kleine privilegien, je nach erscheinen und einflussnahme der angehörigen ). wenn
überhaupt noch mal ansätze eines gesprächs, so bestenfalls auf den kleinsten
gemeinsamen nenner gebracht. man sitzt also meist stumm in einer kleinen
sitzecke, dort wird geraucht – und je nach innerer unruhe oder drängender
blase wechseln die stühle ihre “beSITZer/innen”. solange, bis wieder die
nächste fuhre der verpflegung angerollt kommt. es scheint dann fast als
willkommene abwechslung, der langeweile für kurze augenblicke zu entkommen
( essen als beschäftigungstherapie ). sei es, dass die hand noch selbst
zum mund geführt werden kann, dass noch halbwegs selbstbestimmt geschmeckt,
gekaut, geschluckt werden kann – und hoffentlich keine verdauungsprobleme
hinzu kommen. traurig,
traurig, alles sehr traurig! alles
läuft in der tagesroutine – wie programmiert – ab. ich sah kaum von seiten
des personals ein wenig mehr als nur ermahnungen, beim verabreichen von
speisen oder pillen, kaum je die kleinste geste persönlicher zuwendung;
wenn ja, so einzig auf die situation der mahlzeiten bezogen. vergleichbar
der ermahnung und anleitung in einem kindergarten! meine
schilderung bezieht sich nicht auf die eigentlichen pflegemassnahmen,
denn meine eindrücke sind nur auf den alltag während meiner küchenarbeit
bezogen und dem kontakt zu den senioren. die intensivpflege erfordert
gewiß ein hohes mass fachlicher kompetenz. sensibilität, einfühlungsvermögen,
sind in dieser pflegemechanik nicht vorgesehen. zu den eigentlichen pflegern/Iinnen
auf der P8 hatte ich nur minimalen kontakt, doch wurden meine hinweise
von diesen immerhin angenommen ( inkontinenz, ess-verdauungsproblem, etc.
). im
ablauf der “verpflegung” bei den senioren versuchte ich die fehlende menschliche
zuwendung durch kurze besuche und persönliche gespräche aufzufangen, das
ging nur vor oder nach der essenausgabe. von seiten des personals – bei
der essenausgabe – lag deren aufmerksamkeit einzig auf den abläufen zwischen
küchenbereich und “übergabe” an das folgende personal. vor allem geistig wache senioren sind mit diesen automatisierten abläufen auch in individuellen bedürfnissen und essgewohnheiten total fremdbestimmt – im vorher und nachher sind die senioren sich selbst überlassen – kurz: sie vereinsamen radikal. oft haben sie gar keine andere wahl, als nur völlig passiv im bett zu liegen. die möglichkeiten für auch nur minimale ablenkungen durch spaziergänge oder gar sonstige aktivitäten sind kaum gegeben. u.a. wetterbedingt, bzw. mangels bewegung durch eigene vitalität. die hilfe eines rollstuhls nur für ausflüge wäre ja noch zu schaffen, die meisten senioren resignieren jedoch und wollen diese art hilfe nicht mehr. verständlich, da die möglichkeiten – zeitlich, räumlich und vor allem wegen der einschränkung durch unfallversicherungstechnische grenzen – erheblich reduziert sind. und genau diese situation verstärkt eher noch das lähmende bewußtsein, für den mangel an erlebnisfähigkeit. immer seltener bewegen sie sich aus ihrer letzten vertrauten ecke heraus. mein
tätigkeitsbereich im haus P8 der SBK bestand eigentlich nur aus dem küchendienst.
das bereits entsprach nicht annähernd meiner vorstellung, wie ich es in
den zahllosen fragebögen während der vorbereitungsphase ankreuzte und
selbst formuliert hatte. nachwort zurück in die zukunft – lautete meine erste überschrift; anläßlich der vorahnung, was mir in nicht allzu ferner zeit selbst blühen könne. nein, nicht in dieser blitzblanken und sterilen ordnung ins jenseits hinüberdämmern. dann doch lieber ort und zeit letzter atemzüge selbstbestimmt wählen, notfalls real erfrieren ( der obige titel war vorher der schlußsatz ). habe am 30. meine persönliche konsequenz gezogen und meinen helferjob bei der SBK fristlos gekündigt. das versuchte gespräch mit frau Kämp-f-e lief bereits nach meinem ersten satz total ins leere. von gesprächsbereitschaft nicht die allergeringste spur. versuchte es daraufhin woanders. dort sprach ich mit einer nur unentwegt lächelnden frau Hirnstein, deren schlussfolgerung lapidar lautete: “sie sind ja noch drin, im programm”. noch in der gleichen nacht, nach der kündigung, entstand dieser monolog. das _ganze_ war ein sogenannter 1€ job, um den ich mich – freiwillig ( da über 60 ) – bemüht hatte. die erfahrungen mit dem weg, von der antragstellung über die ersten pflichtgespräche mit zwei jobcentern ( das letztere im gelände der SBK, eine seltsame mischung aus städtischer und Hartz IV spezifischer struktur und organisation ) und der vorbereitenden schulung – mit eingeschobenen lerneinheiten -, diesen weg zu beschreiben, hab ich mir – und hier den lesenden – erspart. meine ursprüngliche motivation war, ich wollte etwas sinnvolles tun, trug mich schon längere zeit mit dem gedanken, den alten und alleingelassenen eine hilfe zu sein, und neben kleinen besorgungen und spaziergängen, einfach nur zuzuhören. innerhalb einer amtlichen maßnahme ist das nicht vorgesehen. wie denn auch? als ich meine vorstellungen von der altenbetreuung der frau Hirnstein zu erklären versuchte, kam von dieser prompt die antwort: “das kann man ja nicht kontrollieren!” |
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(c) dietmar wegewitz 2006 |