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FENSTER
ZUR SEELE |
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Fenster kann man auch als Bühne sehen: Fenster zur Seele. Die Erkerfenster der Kindheit waren für ihn nicht wichtig, da er da noch das genaue Gegenteil eines Stubenhockers ist. Es beginnt mit der Wohnung in der Dahlenerstrafle 150, wo sie 1955 einziehen; mit elf Jahren wechselt er die Schule. Es gibt zwei Fenster zur Straße hin gelegen, eins zum Hof. Und das Kellerfenster, damals für ihn die einzige Wahl, der Enge der Wohnung, der Mutter zu entkommen. Im Keller kann er ungestört seinen Phantasien und Tagträumen nachhängen. Schon etwa 1960 hat er dort sehr bewusst ein Fenstergefühl erlebt. Er hat den kleinen Kellerraum vom centimeterdicken Staub befreit. Spärliches Heizmaterial liegt in einer Ecke. Sie sind arm, sehr arm, überflüssige Dinge sind da nicht zu stapeln. Dort sitzt er oft, im schummrigen Licht der Petroleumlampe, fängt um 1960 an, schriftsprachliche Gedanken in einer kladde zu notieren: "der Stuhl, der von sich selbst besessen/ und sich nicht selbst besaß/ er wird am Ende..." - ( selbst gestapelt ). Und: "Sinnend seh' ich auf Schuhspitzen/ um das in Worten auszudrücken/ was mich auf Schuhspitzen blicken macht..." Oben ein schmales Kellerfenster und die Füße der Passanten. Vom Kellerfenster aus hat er, noch jünger, mit einem Freund eine Geldbörse an einen langen Faden gebunden: wenn jemand kommt und sich danach bückt, wird diese Börse weggezogen. Es gibt also eine Zeit, wo er hin und wieder gelacht hat? Die Zeit. Die fließende Zeit. Eine bestimmte Zeit vorher und eine gewisse Unbestimmtheit hinterher. Zeitlosigkeit. Augenblick. Moment. Die hastende und schwindende, die vergangene, gegenwärtige, die künftige – die vergessene Zeit. Unmittelbar danach, im Übergang, etwa 1963, das einzelne Fenster in der Bruckner Allee; auch in Rheydt. Obwohl noch minderjährig, hatte er ein Zimmer angemietet. Seine Mutter war nicht einverstanden. Doch er wußte sich in dieser Hinsicht durchzusetzen, über sie hinwegzusetzen. Es war das erste Mal, daß er ungestört allein sein konnte. Solches Alleinsein ist nicht mit Einsamkeit zu verwechseln! Da
kann er zum ersten Mal über die Dächer
der Stadt sehen. Er hat dort wie besessen
gezeichnet und gemalt. Nebenher schreibt
er Gedichte und kurze Texte über den
Wind in den Dächern, über Ankunft
und Abreise der Vögel, Kirchturmuhr
und Wetterhahn, auch über Menschen,
über Ahnungen, Zukunft. Er verschenkt
seine Bilder, ist glücklich wie nie
zuvor und selten danach. Er veranstaltet
kleine >Lesungen<. Er liest
den Freunden und Freundinnen manchmal
etwas vor. So etwa aus dem Buch von
Wolfgang Borchert: "Draußen vor
der Tür" *. Er liest mit Vorliebe
Franz Kafka, aber auch Max Frisch
und Thomas Mann, Hermann Hesse, ja
sogar schon Sartre u.v.a. Die Literatur
ist ihm zu der Zeit noch eine Offenbarung.
Wenn Freunde und Freundinnen ihn dort
besuchen, sehen sie sich seine neuesten
Zeichnungen und Gemälde an; die er
oft nach den Tagen verschenkt, wo
sie ihm gelungen erscheinen. Sie sitzen
dann in seinem kleinen Atelier und
trinken Tee oder Rotwein. Er trägt
einen viel zu langen Schal und eine
Baskenmütze. Er ist üiberzeugt, Existenzialist
zu sein. In der Provinzstadt Rheydt
ist er sehr häufig ins Theater gegangen.
Neben der größeren gibt es noch eine
Studiobühne. Dort sieht er Andorra
und weitere Stücke von Max Frisch,
Raskolnikoff, von Dostojewski, sogar
Sartre-Inszenierungen. Von einem Stück
weiß er nur den Titel: "Vater,
armer Vater, Mutter hing dich in den
Schrank und ich bin ganz krank";
ein englischer Autor? Das Theater
in Rheydt ist für ihn ein großes und
weites, ein wirklich ganz wunderbares
Fenster zur Welt gewesen. Den Hauptdarsteller
der meisten dieser Stücke, mit Namen
Ingold Wildenauer, hat er persönlich
kennengelernt. Er hat dem Schauspieler
manchmal zuhören und zusehen dürfen,
wenn der seine Texte lernt. Ingold
Wildenauer schenkt ihm eines tages
eine kleine Schallplatte. Diese Melodie
hat er noch in den Ohren: "Trois...petite...notes...de...musique..."
Er hat, als er sich erinnerte, danach
gesucht und die kleine Schallplatte,
nach Jahr und Tag sogar noch wiedergefunden.
Dieses Theater ist der einzige erhabene
Ort, wo er jemals im Rahmen der Kulturöffentlichkeit
seine Bilder ausgestellt hat, dank
der vermittlung von Ingold Wildenauer. |
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