die katze

text-fragmente dietmar wegewitz

SCHWESTERLEIN UND BRÜDERLEIN

wegen des lange vergessenen hundes erinnert er urplötzlich auch das eckzimmer - in hochparterre -, ihre wohnung dort. ganz deutlich sieht er den herd mit der verchromten stange ringsum. wo er als kleiner junge herumturnt und seine beine unter den herd baumeln 1äßt. der stammplatz des hundes. in einem anderen jahr liegt dort meist die katze, die niemals gelernt hat, auf mäuse scharf zu sein. denn hin und wieder huschen dort mäuse an der wand entlang - unter diesem herd. irgendwo hatten sie dort einen durchschlupf gefunden, da er sie noch öfters auftauchen und wieder verschwinden sah. die katze ist sehr scheu. wird sie auf den fenstervorsprung gesetzt ( marga schließt es dann immer gerne ), sofort springt sie runter auf den bürgersteig, rast in einem scharfen bogen um die hausecke, schleicht, ängstlich geduckt, flitzt die sieben, acht, neun oder zehn stufen einer steintreppe im eiltempo rauf. im endspurt rast sie durch das meist offene haustor, nimmt die letzte ecke, miaut kläglich vor der wohnungstür. dieser katze bindet die schwester eines tages eine längere fitzekordel um den hals. ein hund ist devot und gehorsam. eine katze läßt sich nicht an die leine legen, möge diese noch so lang sein. die katze springt hin und her, versucht die kordel abzustreifen, schließlich flieht sie und kriecht unter die couch, verheddert sich dort in den sprungfedern. die kordel schlingt sich dabei enger und enger um den hals. die katze röchelt. seine schwester steht stumm und steif, hält immer noch diese kordel fest in ihren mädchenhänden. endlich nimmt er seiner schwester die kordel aus der hand. er findet ein kleines messer und kriecht unter die couch, fingert nach dem hals der katze. es gelingt ihm, die kordel so zu fassen, daß er eine hand dazwischen schieben kann. in der anderen hand hat er das messer gehalten. so kann er die kordel noch rechtzeitig vom hals der armen katze lösen. die schwester erinnere er immer nur stumm, emotionslos, unbeteiligt. ihre kindergestalt kenne er nur von einem einzigen alten foto, das er im nachlaß der mutter findet. seine schwester hält sich am rock der mutter fest, er aber, gerade zwei monate alt, nicht im arm der mutter liegend, sondern ganz aufrecht sitzend, den kopf hoch haltend. die mutter sieht ihn zwar an, er aber blinzelt ins unbestimmte. hinter ihnen ahnt man einen sehr großen, uralten baum.

ÄSTHETIK DES SCHEITERNS - ( aus buch 2 muttersprache/kindheit - das ganze buch hat 144 seiten ) © die-wege

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