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text-fragmente dietmar wegewitz |
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KINDHEIT - DENKZETTEL sein
erstes zuhause, wo sie zu dritt bis zu seinem zehnten lebensjahr wohnen,
besteht aus einem eckzimmer, gelegen im hochparterre, in der römerstraße
140. unterm fenster zur straße hin steht er, aus einem der kellerfenster
dringt ein rumpeln an sein ohr, seltsame, polternde geräusche. er geht
in die hocke, beugt seinen kopf tief runter, um durchs kellerfenster zu
gucken. da fliegt ein stück brikett vom keller durchs fenster, ihm ins
gesicht, fast ins auge. damals war es das normale. plötzlich flog etwas
durch die luft und ihm an den kopf. ein stein, ein stück metall oder eine
glasscherbe, was zufällig greifbar war. sein kopf ist mit zahlreichen
narben signiert. sein kopf ist immer schon sein wunder punkt gewesen.
in straßenkämpfen, mit kindern aus jenem anderen wohnviertel, da sind
die grenzen - unsichtbar - gezogen. durch steinschlachten wird das revier
markiert. wenn man sich da einzeln zu weit vorwagt, kann es passieren,
daß man von einer horde kinder überfallen, an einen baum gefesselt, ein
bißchen gequält und ausgeraubt wird. gegen ende wird man mit einem denkzettel
- als botschaft und warnung - wieder freigelassen. wobei dieser denkzettel
aus einem krakeligen schriftstück besteht, dem ritus kinderkrieg quasi
bedeutung verleihend. diese beiden straßenviertel halten sich so gegenseitig
auf abstand, praktisch den größtmöglichen steinwurf voneinander entfernt.
KIRCHE & RELIGION es
ist auf dem heimweg passiert, nach schulschluß. von zwei straßen
gesäumt, steht mittendrin die kirche ( st.josef ). die straße
verzweigt dort. er geht rechts diese straße lang, weg von der kirche,
auf einem breiten gehweg. die schultasche hat er auf seinen rücken
geschnallt. ganz plötzlich hört er unmittelbar hinter sich die
fahrgeräusche eines radfahrers. dieser fährt unbeirrt auf ihn
zu und er stürzt kopfüber auf das pflaster, bleibt liegen -
gehirnerschütterung. kopf, alles klar? in diese kirche ist er, an
einem anderen tag und in einem andern jahr, das zweite mal zur taufe ganz
allein gegangen. da er 1944 in österreich geboren wurde, war die
eintragung einer taufe wohl im kriegschaos verloren gegangen. diese 2.
taufe war eine reine formsache gewesen. da er allein mit dem pfaffen vor
dem becken stand, hat der gar kein großes brimborium daraus gemacht.
heute meint er, daß dieser sich wenigstens ein paar minuten mehr
zeit hätte nehmen können, damit es für ihn nicht so unglaubwürdig
gewesen wäre. sehe man es im zusammenhang mit der wichtigkeit, welche
im katholischen glauben dem sakrament der taufe zukomme, dann wird klar,
warum sein naiver glaube bereits in der kindheit erheblich gestört
war. kindgemäße
unschuld und naivität wird sich wohl heutzutage allein wegen des
häufigen fernsehkonsums anders entwickeln und darstellen, als in
seiner kindheit. soweit er sich an die einflüsse der schule erinnern
kann, waren die fächer schreiben, lesen und zeichnen die einzigen,
die ihn interessierten. die biblischen geschichten habe er mit inbrunst
gelesen. wenn sie im zeichenunterricht herbstblätter o.ä. zeichnen
sollten, so war er damit schnell fertig und fing an, z.b. jesus mit seinen
jüngern bei der stürmischen überfahrt zu zeichnen. die
lehrer sahen seine zeichnungen wohlwollend an, sammelten sie ein, nahmen
sie ihm weg!
ÄSTHETIK DES SCHEITERNS - am rand der wörter ( buch 2, seite #55 - gekürzt ) © dietmar wegewitz
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