text-fragment humor
ich begegne humor immer dort, wo ich ihn noch am wenigsten vermute. das
ritual unsrer begegnung blieb seit jahren fast unverändert. er reiße
zunächst einen seiner derben witze, dann schlage er mir mit seinen
breiten pranken ausgerechnet auf die linke schulter ( er hat sich da noch
nie vertan! ), lache sein grellstes lachen, halte mir ein gläschen
schnaps oder sonstwas an hochprozentig trinkbarem unter die nase, wird ruckartig,
nachdem er seinen welthumor gekippt hat, wieder extrem normal. ein gespräch
anzufangen sei sinnlos. all dies geschehe mit professioneller theatralik,
der sich kaum ein mensch zu entziehen wisse. man proste ihm zu. ich selbst
bin in diesem akt nur ein teil seiner inszenierung.
immer wenn ich kurz davor bin, humor aus meiner memokiste in die gedächtnislücke
zu verbannen, wenn wir uns seit ein paar jahren weder gesehen, noch sonstwie
mal voneinander hätten hören lassen, ausgerechnet dann laufe ich
ihm über den weg; breit grinsend verstellt er mir denselben. als sei
er ein wächter des schattenreiches, eine art unwesen aus dem jenseits,
das sich unsichtbar machen und mich heimlich jederzeit mittels befindlichkeits-seismogramm
immerzu orten könne. ob ich will oder nicht, er findet mich, zur unzeit,
sogar noch im entferntesten und abstrusesten winkel.
nada schau her, dachte ich, humor gibt's ja doch noch. fast schon entsetzt,
sein jahrelanges verschwinden könnte sich in zukunft als symptom erweisen,
das bezeichnend dafür wäre: ich sei nun endgültig von allen
geistern verlassen, totaler vergessenheit anheim geworfen. ich drehte ihm
freiwillig den rücken zu, auf daß er, wie es seine übliche
art war, mir wieder einen seiner furchtbar kameradschaftlichen schläge
auf meine linke schulter versetze. doch nichts geschah. und ich drehte mich
um. doch humor war verschwunden. wie vom erdboden verschluckt. ich dachte,
es wird ihn wohl gestört haben ( spontaneität will wohl überlegt
sein ), daß ich ihm mal zuvorkam. das nächste mal lasse ich ihn
mich wieder überraschen. wann wird das sein? ich warte und warte. doch
humor ist in meinem kümmerlichen denkbezirk bis heute nicht wieder
aufgetaucht.
ÄSTHETIK DES SCHEITERNS - am rand der wörter ( buch 3, 90 seiten
#80 ) © dietmar wegewitz