text-fragment der mops
DER MOPS - EIN HUNDELEBEN
"man soll keine schlafenden hunde wecken", bedeutet wohl, man
sollte besser nicht ins rollen bringen, was am ende unübersehbare folgen
hat.
sie hatten damals einen hund. der war nicht sehr groß, eher so eine
art mops, klein, aber zäh; wie der hieß, weiß er nicht
mehr. kann sein, daß sie ihn einfach nur hund nannten, da er auf zurufe
ohnehin nicht reagierte. er ließ sich nicht einmal dann streicheln,
wenn er in seiner ecke lag. nach all den jahren sieht er urplötzlich
auch diesen hund wieder aus dem dunkel der erinnerung auftauchen. sobald
man mit ihm raus geht, zieht der hund wie verrückt an der leine, reißt
sich immer dann los, wenn er wieder mal einen radfahrer sieht. es sind nur
männer, die er aus einem unerfindlichen grunde kilometerweit verfolgt,
um hin und wieder nach einem hosenbein zu schnappen. obwohl der hund nicht
bösartig ist. es liegt an seinem mopsigen temperament, daß er
jeden fremden spontan kläffend zu begrüßen pflegt. an diesem
tag hat er kein glück. als er wild herumwuselt, kommt er eines tages
ausgerechnet einem auto in die quere. dabei gibt es die weite wiese und
noch viele große unbebaute flächen, wo keine radfahrer, erst
recht keine autos fahren. im näheren umfeld wohnen meist nur arme leute.
und autos fahren dort damals nur vereinzelt vorbei. das auto, von dem dieser
hund unglücklicherweise angefahren wird, ist vom typ goliath, ein dreiradauto
- hintendrauf ein großer, silbrig gänzender, metallischer aufbau.
es handelt sich um einen milchwagen, der damals die ortschaften und straßen
abfährt. der milchmann macht sich mit einer großen glocke bemerkbar,
so daß man ihn mehrere straßen weiter schon hören kann.
leute - die es sich leisten können - kommen daraufhin mit irgendwelchen
gefäßen und bekommen die milch ganz frisch, mit einem großen
schöpfmaß, als viertel, halben oder auch ganzen liter direkt
in ihre mitgebrachten kannen abgefüllt. von diesem schweren milchwagen
wird der hund angefahren. doch dieser hund ist zäh -, scheinbar nicht
kleinzukriegen. noch bevor jemand so recht kapiert hat, was da und wie es
passiert ist, wuselt der hund schon wieder herum, wenn auch mit eingezogenem
schwanz, kleinlaut, kriecht er unter dem auto hervor. er humpelt ein bißchen,
ist aber sonst fidel.
der mops ist dreist. eines tages läuft er wieder mal weg und hat dabei
wahrscheinlich auch das federvieh entdeckt. ungeachtet der gefahr, die im
stacheldraht und im besitzer der hühner lauert, hat er sich durch den
zaun gequetscht. dabei nimmt sein hundeleben doch noch ein gewaltsames ende.
es wird wohl so gewesen sein, daß der hühnerhalter ihn erschoß.
er habe seinem hund kein holzkreuzchen aufstellen können. denn dieser
hund endet tatsächlich in einem großen kochtopf.
eine kleine kugelige frau, eine der wenigen menschen, mit denen die mutter
hin und wieder überhaupt mal spricht, ist auf die absurde idee gekommen,
daß dieser tote hund doch noch zu etwas nütze sei: indem er eine
sehr üppige mahlzeit abgeben werde. diese frau hatte es in der tat
geschafft, die mutter zu überzeugen; es umgehend in die tat umgesetzt.
sie wohnt ganz in der nähe, nur ein paar straßen weiter. sie
gehen zu dritt zu ihr, die mutter, die schwester, er. daß sie mal
zu dritt unterwegs waren, hat seltenheitswert. noch dazu sind sie gemeinsam
zu einem essen eingeladen. nach jahrzehnten sieht er sich, die mutter, die
schwester, wieder auf dem weg zur mahlzeit; er sieht die straße und
die kleinen reihenhäuser mit kleinen vorgärten und den treppenaufgang
zum haus, sogar die küche. daß es ihr mops war, den sie damals
aßen, wußten die kinder nicht, sonst hätten sie dieses
fleisch wohl kaum gegessen. sie sitzen am tisch und warten heißhungrig
auf das essen. die frau schmeckt ab, leckt sich genüßlich die
lippen. er sieht wieder ihr gesicht und ihre gestalt, ähnlich mopsig
wie der hund, speckig und agil, glubschaugen, kurze und fleischige arme.
sie haben zuerst die fettäugige, dampfende suppe gelöffelt. feierlich
sodann, sogar mit messer und gabel, das fleisch. sie haben sich ausnahmsweise
mal richtig satt essen können. nur die mutter nicht, meint er. die
mutter hat sicher nur ein paar kartoffeln und etwas salat genommen; sie
wußte ja, daß es der eigene hund gewesen ist, der auf den tisch
kam. später gehen sie wieder - eine etage - eine treppe runter. danach
noch ein überdachtes treppchen und dann über einige steinplatten.
bis zum bürgersteig. vor den häusern gibt es ein kleines mäuerchen,
über das er damals öfters gelaufen ist. sich wohl an die außerordentliche
mahlzeit erinnernd, hatte er später wiederholt versucht, die eingangslücken
zu überspringen.
ÄSTHETIK DES SCHEITERNS - am rand der wörter ( buch 2, 144 seiten
#69-70 ) © dietmar wegewitz