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   der mops
 

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Wir haben keinen Grund zu lachen, wir müssen denken.
Hanns Eisler - Komponist [ 1898-1962 ]

D E R  M O P S  - E I N  H U N D E L E B E N

"man soll keine schlafenden hunde wecken", bedeutet wohl, man sollte besser nicht ins rollen bringen, was am ende un�bersehbare folgen hat.

sie hatten damals einen hund. der war nicht sehr gro�, eher so eine art mops, klein, aber z�h; wie der hie�, wei� er nicht mehr. kann sein, da� sie ihn einfach nur hund nannten, da er auf zurufe ohnehin nicht reagierte. er lie� sich nicht einmal dann streicheln, wenn er in seiner ecke lag. nach all den jahren sieht er urpl�tzlich auch diesen hund wieder aus dem dunkel der erinnerung auftauchen. sobald man mit ihm raus geht, zieht der hund wie verr�ckt an der leine, rei�t sich immer dann los, wenn er wieder mal einen radfahrer sieht. es sind nur m�nner, die er aus einem unerfindlichen grunde kilometerweit verfolgt, um hin und wieder nach einem hosenbein zu schnappen. obwohl der hund nicht b�sartig ist. es liegt an seinem mopsigen temperament, da� er jeden fremden spontan kl�ffend zu begr��en pflegt. an diesem tag hat er kein gl�ck. als er wild herumwuselt, kommt er eines tages ausgerechnet einem auto in die quere. dabei gibt es die weite wiese und noch viele gro�e unbebaute fl�chen, wo keine radfahrer, erst recht keine autos fahren. im n�heren umfeld wohnen meist nur arme leute. und autos fahren dort damals nur vereinzelt vorbei. das auto, von dem dieser hund ungl�cklicherweise angefahren wird, ist vom typ goliath, ein dreiradauto - hintendrauf ein gro�er, silbrig g�nzender, metallischer aufbau. es handelt sich um einen milchwagen, der damals die ortschaften und stra�en abf�hrt. der milchmann macht sich mit einer gro�en glocke bemerkbar, so da� man ihn mehrere stra�en weiter schon h�ren kann. leute - die es sich leisten k�nnen - kommen daraufhin mit irgendwelchen gef��en und bekommen die milch ganz frisch, mit einem gro�en sch�pfma�, als viertel, halben oder auch ganzen liter direkt in ihre mitgebrachten kannen abgef�llt. von diesem schweren milchwagen wird der hund angefahren. doch dieser hund ist z�h -, scheinbar nicht kleinzukriegen. noch bevor jemand so recht kapiert hat, was da und wie es passiert ist, wuselt der hund schon wieder herum, wenn auch mit eingezogenem schwanz, kleinlaut, kriecht er unter dem auto hervor. er humpelt ein bi�chen, ist aber sonst fidel.

der mops ist dreist. eines tages l�uft er wieder mal weg und hat dabei wahrscheinlich auch das federvieh entdeckt. ungeachtet der gefahr, die im stacheldraht und im besitzer der h�hner lauert, hat er sich durch den zaun gequetscht. dabei nimmt sein hundeleben doch noch ein gewaltsames ende. es wird wohl so gewesen sein, da� der h�hnerhalter ihn erscho�. er habe seinem hund kein holzkreuzchen aufstellen k�nnen. denn dieser hund endet tats�chlich in einem gro�en kochtopf.
eine kleine kugelige frau, eine der wenigen menschen, mit denen die mutter hin und wieder �berhaupt mal spricht, ist auf die absurde idee gekommen, da� dieser tote hund doch noch zu etwas n�tze sei: indem er eine sehr �ppige mahlzeit abgeben werde. diese frau hatte es in der tat geschafft, die mutter zu �berzeugen; es umgehend in die tat umgesetzt. sie wohnt ganz in der n�he, nur ein paar stra�en weiter. sie gehen zu dritt zu ihr, die mutter, die schwester, er. da� sie mal zu dritt unterwegs waren, hat seltenheitswert. noch dazu sind sie gemeinsam zu einem essen eingeladen. nach jahrzehnten sieht er sich, die mutter, die schwester, wieder auf dem weg zur mahlzeit; er sieht die stra�e und die kleinen reihenh�user mit kleinen vorg�rten und den treppenaufgang zum haus, sogar die k�che. da� es ihr mops war, den sie damals a�en, wu�ten die kinder nicht, sonst h�tten sie dieses fleisch wohl kaum gegessen. sie sitzen am tisch und warten hei�hungrig auf das essen. die frau schmeckt ab, leckt sich gen��lich die lippen. er sieht wieder ihr gesicht und ihre gestalt, �hnlich mopsig wie der hund, speckig und agil, glubschaugen, kurze und fleischige arme. sie haben zuerst die fett�ugige, dampfende suppe gel�ffelt. feierlich sodann, sogar mit messer und gabel, das fleisch. sie haben sich ausnahmsweise mal richtig satt essen k�nnen. nur die mutter nicht, meint er. die mutter hat sicher nur ein paar kartoffeln und etwas salat genommen; sie wu�te ja, da� es der eigene hund gewesen ist, der auf den tisch kam. sp�ter gehen sie wieder - eine etage - eine treppe runter. danach noch ein �berdachtes treppchen und dann �ber einige steinplatten. bis zum b�rgersteig. vor den h�usern gibt es ein kleines m�uerchen, �ber das er damals �fters gelaufen ist. sich wohl an die au�erordentliche mahlzeit erinnernd, hatte er sp�ter wiederholt versucht, die eingangsl�cken zu �berspringen.


diese texte sind autobiografisch, 1991-1996 entstanden in einer schweren lebenskrise. die wahl der 3. person ER statt ICH brachte genug emotionale distanz, um eine br�cke zu sprache und schreibstil als erwachsener zu bauen.

ÄSTHETIK DES SCHEITERNS - ( aus buch 2 muttersprache/kindheit - das ganze buch hat 144 seiten ) © die-wege

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