“Die
Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.” Kurt
Tucholsky Marie von Ebner-Eschenbach
T O
T E N T A N Z
was
auch immer an nachbildern in den köpfen als ein bezeichnendes
ding sich darstelle, mir ist in relation zur menge an unbekanntem
und namenlosem die vorstellung suspekt, daß im laufe der jahrtausende
nur vereinzelte exemplare es zu einer gewissen größe gebracht
haben sollen - um in der geschichte bleibende werte zu verkörpern.
die geschichte großer un-taten! nichts darüber hinaus? was an
besonderem im zeitraum der gedenktage als nachwelt uns überliefert
sei?
ich also sammle todesanzeigen. löste und trennte ich mich doch
von zuvielen dingen, an denen mein herz hing, oft nur gezwungenermaßen.
ja, frei-will-ich-sein, zumindest von der unbill des namenlosen
vergessens. ich leiste meinen beitrag zur kultur aller namenlosen.
nicht mehr und nicht weniger.
es
fing damit an, daß mein blick am 3. 2. 1985 im ksta wieder mal
die todesanzeigen abtastete und ich sodann das wort "weiser"
aus einer kleinen todesanzeige herausschnitt. bereits früher fand
ich dort meine ersten wortnamen. ich hatte mir gedacht: "da
schau her, da gucke in zukunft gezielt hin.
tatsächlich fand ich bereits kurz darauf den wortnamen "volk".
na, das nenne ich einen sonderbaren zufall der übereinstimmung.
was mir anfangs noch sehr diffus im kopfe herumgeisterte, es fand
in diesem zweiten fund die ergänzung, die erweiterung, ja den
absoluten nullpunkt. ich war dem springenden punkt auf der spur.
das
wort volk besagt anderes als der name volk. die größe, so dachte
ich weiterhin, "größe allein ist kein argument". wenn
es sich darum drehe, ob ein mensch ein "großer mensch"
genannt werden darf. ob nicht seit anbeginn gerade die größe eines
volkes vom in allen geschichtsbüchern unterschlagenen namenlosen,
einzig und allein vom volk abhängig sei? ergo: ob's nicht einen
besseren ruf, einen nachruf verdient habe, das volk? es nicht
allein den lippenbekenntnis-rhetorikern, nicht den politikern
und festtagsrednern überlassen, ob und wann die rede "im
namen des volkes" angebracht sei. ein "weiser",
dachte ich, ein weiser werde es tunlichst meiden, solcher wortkunst
sich hochtrabend zu befleißigen. dürfen wir es politikern überlassen,
sich emporzuschwingen, getrieben von der geilheit, ins buch der
geschichte aufgenommen zu sein? dürfen wir es ihnen gestatten,
daß zuviele wörter zu hülsen werden?
NIE
WIEDER
doch
zurück zum namenlosen: "NOCH NIE, NIE WIEDER", lautet
ein ideogramm; das mein augenmerk treffend bezeichne. ein zweites:
"LAUTER LETZTE TAGE". ein drittes: "RUHETAGE".
ich fand jüngst eine alte zeitung vom 11.10.55 ( nr.236; s.15
) - mit der todesanzeige eines herrn wilhelm "RUHE".
alles nur zufall ? 1986 fand ich im container mehrere päckchen
glasnegative; mit fünf wortnamen und gestapelten glasnegativen
enstand ein kleines objekt, worin ( mangels öffentlichkeit ) also
kein status der erhabenheit ( von bedeutung ) enthalten, sondern
nur die struktur von wahrnehmung dargestellt sei. die 5 namen
( weiser, volk, blick, stille und stiller ) sprechen - u.a. -
für sich selbst: sui generis.
hier
auftauchende gedanken ( "arbeiten auf papier" ), sie
mögen allem "NIE WIEDER" als falle in den weg gelegt
sein; was man - im kleinen oder großen - zu erinnern, zu bewältigen
fähig sei. die furchtbarste form deutscher gründlichkeit, die
ach so pedantisch geführten "dokumente der täter des holocaust",
sollen uns für alle zeiten mahnung genug sein, daß es "NIE
WIEDER" geschehe, das grauen mit "fleiß und ordnung"
zu verrichten. dies allein schloß mit ein, bei meiner <fundsammlung>
der todesanzeigen, der wortnamen, nicht um vollständigkeit mich
zu bemühen. nur ja keine vollendung! es war so, daß ich in der
zeit einer schwersten persönlichen krise dennoch nie aufhörte,
aufmerksam zu sein. ja besonders in dieser zeit war es mir so
ernst wie nie: das sinnarme tätigsein, im prozeß sein. den kreis
habe ich dann bewußt nach 9 jahren geschlossen. denn die zahl
zehn hätte einen zu hohen symbolcharakter. was nicht heißen soll,
daß ich fortan nicht aufmerksam bin.